Yvonne Fehrenbach
Chief Financial Officer (CFO) bei Chanel

© Yvonne Fehrenbach

Wir stärken Mädchen
Hallo Yvonne! Was beschäftigt dich beruflich gerade?

Yvonne Fehrenbach
Aktuell bin ich mal wieder mit unserem Forecast also der wirtschaftlichen Prognose für dieses und nächstes Jahr beschäftigt. Wir machen immer am Ende des Jahres basierend auf wirtschaftlichen Prognosen eine Planung für das kommende Jahr. Im Folgejahr wird dann regelmäßig überprüft, ob das, was man Ende des vorangegangenen Jahres geplant hat, auch so eintritt oder ob man aufgrund geänderter Prognosen Anpassungen vornehmen muss.

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Und wie sieht so dein Arbeitsalltag aus? Hast du einen speziellen Ablauf oder ist das von Tag zu Tag unterschiedlich?

Yvonne Fehrenbach
Den typischen Arbeitsalltag gibt es eigentlich nicht, mit Ausnahme von Montag, da habe ich immer meine regelmäßigen Meetings. Die restlichen Tage der Woche sind sehr abwechslungsreich und nie gleich. Das liegt daran, dass fast alles, was im Unternehmen passiert, am Ende im Finanzbereich zusammenläuft. Um sicherzustellen, dass dabei keine Fehler passieren, müssen wir ein wirklich gutes Verständnis für das haben, was unsere Kolleg:innen in den anderen Bereichen machen. Wir nennen das „Finance als Business Partner“. Dazu gehört viel Kommunikation. Gleichzeitig muss ich aber auch sicherstellen, dass unsere Prozesse zuverlässig und möglichst effizient funktionieren. Bei den vielen Veränderungen im Unternehmen bedeutet das, dass wir immer wieder überprüfen müssen, ob das, was gestern noch wichtig und erforderlich war, heute immer noch genauso wichtig und erforderlich ist.

Aktuell beschäftigte ich mich deswegen auch mit dem Thema Automatisierung und KI. Wir versuchen mit der Hilfe von verschiedenen Tools, Prozesse zu automatisieren und – unterstützt durch KI – unsere Datenanalysen zu verbessern. Gerade im Finanzbereich, wo es viele wiederkehrende Prozesse und eine riesige Menge an Daten gibt, ergeben sich hier vielfältige Einsatzmöglichkeiten – vom Rechnungsverarbeitungsprozess bis hin zur Budgetplanung.

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Was unsere Leser:innen natürlich auch sehr interessiert ist: Was wolltest du werden, als du klein warst?

Yvonne Fehrenbach
Auf jeden Fall nicht CFO, was aber auch daran liegt, dass ich als Kind nichts mit dem Begriff „CFO“ hätte anfangen können.

Ich hatte viele Ideen, was ich einmal werden wollte, als ich jünger war, Pilotin und Chemikerin, oder doch Europäische Betriebswirtschaftslehre studieren. Ich habe allerdings früh gemerkt, dass meine Stärken vor allem in der Zusammenarbeit und Interaktion mit Anderen liegen. Mein Interesse für Jura wurde schließlich entfacht, als ich bei einem Schulausflug mal bei einer Gerichtsverhandlung dabei sein durfte. Ich war total beeindruckt, von dem Charisma und der Redegewandtheit des Staatsanwalts und der Macht seiner Worte. Ich glaube, damals wuchs der Wunsch in mir heran, irgendwann auch einmal die Macht zu haben, etwas bewirken zu können. Außerdem eröffnen sich mit einem Jurastudium unheimlich viele verschiedene Möglichkeiten bei der späteren Berufswahl. Das beste Beispiel dafür bin ich. Denn ein Jurastudium ist eher nicht der klassische Weg zum CFO, und doch würde ich es wieder studieren. Denn die analytische, strukturierte Herangehensweise an komplexe Sachverhalte, die man im Jurastudium lernt, hilft mir bis heute die vielfältigen Aufgaben zu bewältigen.

Wir stärken Mädchen
Wie hast du denn damals deinen Berufszweig gewählt?

Yvonne Fehrenbach
Ich bin Volljuristin und tatsächlich wollte ich ursprünglich nach dem Jurastudium Rechtsanwältin werden. Ich habe mich im Studium auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisiert, weil ich das sehr interessant fand.

Nach dem zweiten Staatsexamen fühlte ich mich allerdings noch nicht ausreichend darauf vorbereitet, alleine in einem Gespräch mit Mandant:innen (Anmerkung WsM: Mandant:innen sind Menschen, die von Rechtsanwälten beraten werden) zu sitzen und diese zu beraten. Ich brauchte erst mal noch eine Lernphase in einem Team. Dann hörte ich, dass PwC, eine Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft, Jurist:innen im Bankenbereich sucht. So bin ich in der Wirtschaftsprüfung gelandet.

Da ich von Anfang an immer auch auf Beratungsprojekten eingesetzt wurde, habe ich allerdings irgendwann gemerkt, dass es mir mehr Spaß macht, an Lösungen wie zum Beispiel der Umsetzung neuer gesetzlicher Anforderungen oder der Optimierung von Prozessen zu arbeiten und nicht hinterher zu prüfen, ob die Anforderungen richtig umgesetzt wurden oder die Prozesse fehlerlos funktionieren. Deswegen bin ich schließlich in die Beratung gegangen.

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Und wie bist du dann bei Chanel gelandet?

Yvonne Fehrenbach
Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich mich verändern muss, um weiter zu wachsen. Die Zeit in der Beratung war sehr abwechslungsreich und vielfältig. Man ist im Rahmen eines Projektes meist mehrere Monate in einem Unternehmen. Wenn ein Projekt zu Ende ist, fängt meistens sofort das nächste bei einem neuen Unternehmen an, manchmal arbeitet man auch zeitgleich an mehreren Projekten. Aber was nach dem Ende eines Projektes im Unternehmen passiert, wie sich z. B. die Einführung neuer Prozesse auswirkt, bekommt man in der Regel nicht mit. Als Berater trägt man „nur“ die Verantwortung bis zur Erreichung des Projektziels. Schließlich wurde mir bewusst, dass mir das Ganzheitliche fehlt. So wuchs der Wunsch, operativ in ein Unternehmen zu gehen und nicht mehr nur als Beraterin. Das mit Chanel hat sich aufgrund meines Netzwerkes ergeben. Ich wurde auf Empfehlung einer ehemaligen Kollegin von der zuständigen Recruiterin angesprochen und das passte genau in dem Moment zu meinen Gedankengängen.

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Welche der Zukunftskompetenzen siehst du in deinem Alltag als am wichtigsten an?

Yvonne Fehrenbach
Für mich ist Kollaboration sehr wichtig. Ich sitze nicht in meinem Büro und sage: „Das wird jetzt so gemacht, keine Widerrede“. Auch wenn ich als Führungskraft die Verantwortung trage, lege ich Wert darauf, dass wir Ziele gemeinsam definieren und dass Impulse und Ideen zur Umsetzung auch aus dem Team kommen. Denn das sind die Personen, die sich tagtäglich mit den Prozessen und Aufgaben beschäftigen. Dann schauen wir gemeinsam, was eine gute Lösung ist, um uns als Team/als Bereich weiterzuentwickeln und unsere Ziele zu erreichen.

Egal in welchem Unternehmen ich gearbeitet habe, ist Kommunikation außerdem immer ein Thema. Oft gibt es Beschwerden, dass die Kommunikation nicht gut funktioniert. Das liegt meines Erachtens daran, dass jeder Mensch anders ist und nicht jeder das, was kommuniziert wird, auch gleichermaßen versteht. Wichtig ist es, ein Gespür dafür zu haben, wenn Mitarbeiter:innen sich nicht ausreichend abgeholt fühlen und darauf einzugehen.

Das sind für mich die zwei wichtigsten Zukunftskompetenzen.

Wenn ich noch eine weitere hinzufügen dürfte, dann wäre das Kreativität: Bei so vielen Veränderungen, die täglich auf uns einstürmen und die Verunsicherung hervorrufen können, ist es wichtig, offen und neugierig zu bleiben, Probleme als Herausforderungen zu sehen und nach kreativen Lösungen zu suchen.

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Viele Leute assoziieren Kreativität mit künstlerischen Berufen. Wo findet man im Finanzbereich die Zukunftskompetenz Creativity?

Yvonne Fehrenbach
Für mich hat Kreativität auch ganz viel mit Lösungsfindung zu tun. Und die ist im Finanzbereich ein ganz starker Treiber für Kreativität, weil wir immer mit Problemen konfrontiert werden, für die wir auch im Sinne unserer Business Partner eine gute Lösung finden müssen.

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Gibt es in deinem Arbeitsfeld Herausforderungen, denen du begegnest, weil du eine Frau bist?

Yvonne Fehrenbach
Als Frau im Finanzbereich Karriere zu machen, ist heute nicht mehr ganz so ungewöhnlich wie noch vor einigen Jahren. Da hat sich zum Glück schon sehr viel getan. Und auch in der Unternehmensberatung, in der ich den überwiegenden Teil meiner beruflichen Laufbahn gearbeitet und meine Karriere gestartet habe, hat sich in den letzten Jahren vieles verändert. Vor 20 Jahren, als ich dort angefangen habe, war diese Branche noch überwiegend männlich dominiert, Aber auch heute sind weibliche Führungskräfte noch immer in der Minderheit. Damals stand ich vor unheimlich vielen Herausforderungen, auch als ich Mutter wurde. Ich habe zwei Kinder und hatte das Glück, einen Partner zu haben, der es mir trotzdem ermöglicht hat, meine Karriere voranzutreiben. So bin ich schon früh wieder in den Beruf zurückgegangen. Da ich viel reisen musste, war ich keine „klassische“ Mutter. Krabbelgruppen, Hausaufgabenbetreuung, Elternabende oder Fahrdienste hat überwiegend mein Mann wahrgenommen, der ebenfalls voll berufstätig ist, aber nicht so viel unterwegs war. Tatsächlich musste ich mich selbst erst mal davon lösen, dass ich nicht zu 100 Prozent die Rolle der „perfekten“ Mutter erfüllen kann.

Erschwerend kam hinzu, dass ich in Entwicklungsgesprächen häufig gefragt wurde: „Wie machst du das eigentlich mit deinen Kindern?“, obwohl ich ja nichts anderes gemacht habe als meine männlichen Kollegen. Damals habe ich immer geantwortet, dass ich gut organisiert bin und es meinen Kindern gut geht. Tatsächlich war ich auch stolz darauf, dass wir als Familie das alles hinbekommen haben. Manchmal frage ich mich rückblickend allerdings, ob es nicht besser gewesen wäre, zu antworten: „Das hat doch jetzt gar nichts mit meiner Arbeit und meiner Entwicklung hier zu tun. Oder hast Du auch meinen Kollegen gefragt, wie er das eigentlich mit seinen Kindern macht.“

Die richtige Balance zu finden, einerseits mit Stolz zu sagen, dass man Kind(er) und Karriere unter einen Hut bekommt und damit auch als Role Model für andere Frauen aufzutreten, andererseits dabei aber nicht in eine bestimmte Schublade gesteckt zu werden, empfand ich tatsächlich manchmal als eine ganz schöne Herausforderung.

Für mich war und ist wichtig, den richtigen Partner an meiner Seite zu wissen, der auch Verständnis dafür hat, wenn ich als Frau weiter Karriere machen möchte.

Wir stärken Mädchen
Hast du ein weibliches Vorbild?

Yvonne Fehrenbach
Nicht im Sinne einer einzelnen Person. Ich finde Frauen, die ihren eigenen Weg gegangen sind und sich weder selbst Grenzen gesetzt haben, noch sich von anderen haben Grenzen setzen lassen faszinierend und bewundernswert. Das trifft z. B. auch auf die Gründerin von Chanel, Gabrielle Chanel, zu. Eine unglaublich unabhängige und mutige Frau, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Frauen in weiten Teilen Europas noch nicht einmal wahlberechtigt waren, ihre Träume verwirklicht und ein Unternehmen gegründet hat, das mehr als 100 Jahre später immer noch besteht.

Wir stärken Mädchen
Welchen Tipp würdest du den Mädchen und jungen Frauen mitgeben, die sich gerade fragen: „Was möchte ich mal werden?“

Yvonne Fehrenbach
Setzt euch keine Grenzen und lasst euch auch von anderen keine Grenzen setzen!

Wenn jemand sagt, „das kannst du nicht werden“, „das kannst du nicht erreichen“, nehmt das nicht für bare Münze, sondern geht Euren eigenen Weg. Wenn man etwas wirklich erreichen möchte und dafür brennt, dann erreicht man es auch. Auch wenn es manchmal etwas länger dauert, oder nicht der direkte Weg zum Ziel führt. Vielleicht ändert sich ja auch das anfängliche Ziel. Lasst euch davon nicht verunsichern, auch das ist normal in einer Zeit voller Veränderungen. Wichtig ist nur, dass ihr herausfindet, was ihr wirklich wollt und dann bei euch bleibt.

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