Kim Vetter
Der Tanz mit der Chemie

© Kim Vetter

WSM: Hallo Kim! Sag mal, du tanzt gern und bist Chemikerin. Aber in einem Labor muss man sich sicher vorsichtig bewegen, oder?

Kim: Hallo, ja, du musst vorsichtig sein, definitiv, aber du bist auch in Bewegung und sitzt nicht einfach nur den ganzen Tag rum – da ist was los und das mag ich.

WSM: Wie bist du denn zu deinem heutigen Beruf gekommen oder generell zu dem Feld der Chemie?

Kim: Ich habe schon immer gern die Natur beobachtet. Als Kind habe ich zum Beispiel Steine auf den Boden geschmissen und gehofft, dass sie kaputt gehen. Ich wollte mir ansehen, wie sie von innen aussehen und habe gehofft, sie glitzern oder haben eine komplett andere Farbe innen als außen – das fand ich supercool. Das Interesse für die Chemie kam erst später. Ich hatte Chemie als Leistungskurs und habe für meine Facharbeit in der 10. Klasse von meiner Lehrerin ein sehr spannendes Projekt vorgeschlagen bekommen: Ich habe selbst bunte Glasperlen aus Pulvern herstellen dürfen. Ich konnte also selbst etwas erschaffen und gleichzeitig erkunden, wie sich die Farben verhalten, also zum Beispiel warum die Perlen gelb oder grün werden. Mir hat das so Spaß gemacht, dass ich noch mehr lernen wollte.

WSM: Wart ihr viele Mädchen im Chemiekurs in der Schule und später im Studium?

Kim: Im Chemieleistungskurs waren wir ein bisschen mehr Jungs als Mädels. Besonders unausgeglichen war es in der Physik – dort war nur eine Schülerin im Kurs. Im Chemiestudium selbst war es zu Anfang ausgeglichen, zum Ende hin gab es sogar mehr Frauen, da mehr Männer das Studium abgebrochen haben. Vielleicht haben sich die Frauen früher überlegt, was sie wollen.

WSM: Wusstest du dann schon in der Schule, dass du einmal Chemie studieren möchtest?

Kim: In der Mittelstufe kam ein Chemiestudium gar nicht für mich in Frage. Ich habe mir damals verschiedene Bereiche angeschaut. Ich habe ein Praktikum in der Psychologie gemacht und eins beim Notar, um den Bereich Jura kennenzulernen. Weil mein Vater Mediziner war, habe ich dort auch einiges mitbekommen. Schließlich wurde es dann aber die Chemie, auch durch das Projekt mit den bunten Perlen und die Unterstützung meiner Lehrerin.

WSM: Und wusstest du dann schon, was auf dich zukommt?

Kim: Sehr spannende Frage! Nein, auch im Studium habe ich in jeden Bereich der Chemie einmal reingeschnuppert, weil es so viele Bereiche gibt. In den Studienplan habe ich zum Beispiel vorher gar nicht reingeschaut, was vielleicht auch gut war, weil ich so nicht wusste, wie viel Physik ich belegen muss.

WSM: Und dein Arbeitsalltag, ist der nun auch anders als zu Anfang gedacht?

Kim: Ich verbringe deutlich weniger Zeit im Labor, als ich dachte. Ich überlege mir heute Konzepte und Herangehensweisen, um Probleme zu lösen. Mein Team im Labor setzt das dann mit mir gemeinsam um.

WSM: Was sind das für Probleme?

Kim: Du kannst davon ausgehen, dass fast jedes der Produkte, die du benutzt, im Alltag irgendwann mal mit der chemischen Industrie in Kontakt war. Unternehmen oder Personen kommen mit einer Fragestellung zu BASF, also der Firma, für die ich arbeite. Sie wollen zum Beispiel wissen: Wie kann eine Batterie eines Elektroautos, die nicht mehr funktioniert, recycelt werden? Ich mache mir dann mit meinem Team Gedanken, wie die Bestandteile einer solchen Batterie getrennt und aufgereinigt werden können, um sie wieder nutzbar zu machen. Wir wollen also zum Beispiel Aluminium, Kuper oder Nickel wieder herauslösen.

WSM: Wenn du an einem solchen Problem tüftelst, wie ist dann ein typischer Arbeitstag bei dir?

Kim: Ich komme morgens um halb acht bei der Arbeit an und gehe erst mal ins Labor. Dort sind meistens alle schon da. Gemeinsam besprechen wir dann, woran am Tag zuvor gearbeitet wurde und was wir diesen Tag vorhaben. Oft müssen wir mit den Erkenntnissen vom Vortag weiterarbeiten und überlegen dann gemeinsam, wie wir das am besten machen. Das Laborteam setzt meine ersten Überlegungen also praktisch um. Im Laufe eines Tages schauen wir dann zum Beispiel, ob sich das geplante Experiment auch wirklich so verhält, wie wir dachten. Ist die chemische Lösung zum Beispiel flüssig genug und kann man sie gut schütten? Oder bilden sich Klümpchen, die wir nicht gebrauchen können? So arbeiten wir meistens über Wochen an einer Problemlösung, die aus ganz vielen kleinen Schritten besteht. Zwischendurch werden auch mal Proben zur Analytik geschickt, also einem weiteren Bereich, der genau guckt, was in unseren Lösungen enthalten ist. Während also das Laborteam im Labor mit den Produkten forscht, mache ich Überlegungen am Schreibtisch und das Laborteam probiert es praktisch aus.

Insgesamt sind wir ein Team aus verschiedenen Chemiker:innen aber auch Ingenieur:innen, die alle eng an einem großen Thema arbeiten. Deshalb sind wir auch in engem Austausch. Mittags gehen wir dann meistens zusammen essen. Und danach bereite ich dann in der Regel die Arbeitspakete und -schritte für den nächsten Tag vor. In einer Woche bin ich so drei bis vier Tage im Büro und den Rest im Homeoffice.

WSM: Das klingt sehr interessant und vor allem abwechslungsreich.

Kim: Auf jeden Fall. Wir arbeiten an sehr aktuellen Problemen, zum Beispiel welchen, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Das ist es auch, was mich motiviert.

WSM: Mit Blick in die Zukunft frage ich mich gerade, welche Zukunftskompetenz dir besonders in deinem Beruf begegnet?

Kim: Das ist gar nicht so einfach – eigentlich passen alle sechs Zukunftskompetenzen total gut. Ich würde aber dennoch sagen es ist Collaboration. Alleine wäre ich total aufgeschmissen – durch gute Zusammenarbeit und Teamwork lösen wir die Rätsel und Probleme, die uns von unseren Kund:innen gegeben werden. Aber natürlich spielt in gute Zusammenarbeit auch gute Kommunikation mit rein und auch regelmäßig einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn sich die Lösung nicht „einfach“ auftut.

WSM: Stimmt! Und was ist denn ein klassisches Arbeitsutensil, das eine wichtige Rolle in deinem Alltag spielt?

Kim: Wahrscheinlich sind das die Handschuhe. Das klingt erst mal nicht so spannend, aber sie sind einfach sehr wichtig. Ich rede immer gerne von bunten und glitzernden Sachen, die Spaß machen, aber bei der Arbeit damit gibt es auch eine Verantwortung. Wir arbeiten oft mit giftigen Sachen und Dingen, die in dieser Konzentration in der Natur nicht vorkommen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns schützen und da sind Handschuhe das einfachste und gängigste Mittel. Außerdem habe ich schon viel  mit sehr sehr kleinen Reagenzgläsern gearbeitet. Darin habe Kristalle gezüchtet, die mit dem Auge kaum sichtbar waren. Erst unter dem Mikroskop habe ich dann gesehen, wie bunt und glitzernd sie waren.

WSM: Sehr spannend! Diese Farben und tollen Materialien kommen auch in deinem Buch „Chemie und Eleganz“ vor. Wie kamst du darauf, ein Buch zu schreiben?

Kim: Chemie wird nicht oft mit Eleganz und schönen Dingen in Verbindung gebracht. Für mich war sie aber immer genau das, deshalb wollte ich das sichtbar machen. Eine Schneeflocke ist zum Beispiel Chemie und genauso ist unser ganzer Körper mit allen Prozessen, die darin passieren, Chemie. Chemie ist also nicht nur Explosionen und Dampf. Sie kann eben auch für die Probleme eingesetzt werden, die wir so dringend lösen müssen. Ich möchte mit dem Buch Jugendlichen und vor allem auch Mädchen einen realistischen Einblick in die Chemie geben und sie inspirieren, mehr darüber zu lernen und vielleicht sogar mal einen Beruf im chemischen Bereich zu lernen.

WSM: Wie ist das eigentlich heute in deinem Berufsfeld – gibt es dort genauso viele Frauen, wie Männer?

Kim: In meinem Team gibt es eine weitere Chemikerin, mein Laborantinnen-Team besteht aus drei Frauen und sonst begegnen mir auch in allen Bereichen immer wieder Frauen, nur eben nicht ganz so viele wie Männer. In meinem Team wiederum gibt es auch nicht nur Frauen, das klingt jetzt ein bisschen so, sondern wir sind in meiner Einheit ungefähr halb halb aufgestellt. Anders ist es in den Ingenieurswissenschaften, dort sehe ich deutlich mehr Männer als Frauen.

WSM: Gibt es in deinem Arbeitsfeld Herausforderungen, denen du begegnest, weil du eine Frau bist?

Kim: Ich hatte das Glück, eigentlich immer sehr viel Unterstützung erfahren zu haben. Aber ich weiß, dass das als Frau in meinem Berufsfeld nicht selbstverständlich ist. Mir stand nie mehr im Weg, als ein dummer Spruch hier und da. Zum Beispiel wurde ich in einem Bewerbungsgespräch einmal von einem Mann gefragt, wie ich als Frau darauf kam, Chemie zu studieren. Es klang, als wäre das für ihn völlig unverständlich. Für mich war es aber völlig selbstsverständlich, also fragte ich ihn, warum diese Frage das Frau-Sein beinhalte. Das hätte er sicher keinen Mann gefragt. Ich habe dann für mich entschieden, dass dieses Unternehmen nicht zu mir passt und das Angebot abgelehnt. In meinen Augen können wir es uns als Gesellschaft nicht leisten, Frauen und Mädchen bestimmte Berufswege zu verbauen. Wir brauchen schlaue Köpfe an allen Ecken und Enden, daher sollten wir alle gleich und wertschätzend behandeln.

WSM: Stimmt, es sollte keine Rolle spielen, welches Geschlecht man hat, solange man für das brennt, was man tut. Hattest du denn auch auf deinem Weg Vorbilder, die dich geprägt haben?

Kim: Ja, auf jeden Fall. Ich habe einige Vorbilder im Alltag, wie Kolleginnen, mit denen ich zusammenarbeite. Bei zwei Kolleginnen freue ich mich immer mir richtig etwas abzugucken. In der Chemie inspiriert mich Maria Leptin total. Sie ist Präsidentin vom Europäischen Forschungsrat. Ich durfte sie einmal kennenlernen, als ich ein Interview mit ihr geführt habe. Dort hat mich ihre Persönlichkeit total begeistert, denn sie erzählte, dass sie am liebsten Tänzerin geworden wäre. Dafür hat es laut eigenen Aussagen nicht gereicht. Dann entschied sie sich für die Naturwissenschaften und ist heute Biologin und Immunologin.

WSM:  Welchen Tipp würdest du denn Mädchen und Jugendlichen geben, die gerade noch auf der Suche nach dem richtigen Beruf sind?

Kim: Weil es für mich gut funktioniert hat, würde ich sagen, entscheide dich erst mal für den nächsten Schritt also plane nicht für den Rest deines Lebens, sondern blicke erst mal auf die nächsten 3, 5 oder 8 Jahre. Verbringe sie mit etwas, das dir Spaß macht und das dich interessiert. Von dort geht es dann Schritt für Schritt weiter. Und wenn der Grundstein deiner Ausbildung schon etwas ist, was dir Freude macht, wird es dich vermutlich weiterhin begleiten und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass du in einem Feld landest, was gut zu dir passt. Ignoriert doofe Aussagen wie „Chemie ist schon eher etwas für Männer“ – die sind vielleicht gar nicht böse gemeint, sondern einfach nur blöd formuliert.

WSM: Das ist ein toller Tipp, danke dir! Zum Abschluss interessiert uns noch eine letzte Frage natürlich sehr: Was ist denn dein Lieblingselement?

Kim: Eine total coole Frage! Mein Lieblingselement ist Wasserstoff und das hat drei Gründe. Es ist zuerst einmal das aller erste Element im Periodensystem, es ist jedem bekannt und viele wissen etwas darüber. Der zweite Grund ist eigentlich der Größte, denn ich habe meine Promotion über Wasserstoff geschrieben, habe Wasserstoff hergestellt und an Techniken gearbeitet, wie die Herstellung preiswerter und effizienter funktionieren kann. Und der dritte Grund ist, dass Wasserstoff eigentlich total klein ist, aber einen riesen Beitrag dazu leisten kann, wie wir unsere Energieprobleme auf dem Planeten in den Griff bekommen.

Beim genaueren Nachdenken über die Frage fallen mir aber noch ganz viele andere Elemente ein, zum Beispiel Molybdän – wie lustig klingt das? Das kennt leider kein Mensch, ist aber auch sehr spannend und hört sich einfach toll an, oder?

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