Katrin Hempel
Die laufende Transformation

© Katrin Hempel

Du sitzt gerade in Lissabon – wie ist dein Weg bisher verlaufen und was machst du heute hier?
Lissabon ist meine Lieblingsstadt außerhalb von Berlin. Hier mache ich gerade WORKation (aus dem Englischen: work + vacation). Dieses Konzept einmal selbst auszuprobieren und dabei einige Projektvorbereitungen abzuarbeiten, ist der Plan für die drei Wochen, die ich hier bin.
Als Selbstständige arbeite ich viel mit Menschen und das auch am liebsten persönlich. Für die Zeit hier habe ich mir ein Paket an Aufgaben zusammengestellt, die ich in der Projektvorbereitung alleine erledigen kann.
Das Ganze mit blauem Himmel und Sonnenschein kombiniert ist großartig.
Mein Weg besteht aus vielen Etappen. Meine Kindheit und Jugend endeten 1989 und mit meinem 18. Geburtstag. Damals änderte sich viel für mich, dann die DDR, in der ich aufwuchs, gab es nicht mehr und mit dem Mauerfall war ich plötzlich Teil der Bundesrepublik Deutschland, in der doch einiges sehr anders war.

Das war herausfordernd. Diese Situation hat mir aber gezeigt, dass ich in Veränderungen auch immer eine Chance für mich sehen und diese für mich nutzen kann. Ich habe mich daher nach einigen kleinen Umwegen für ein Duales Studium mit einem großen Konzern entschieden. Das gab mir Sicherheit. Ich bin fast 30 Jahre dortgeblieben und durfte viele spannende Aufgaben und Projekte übernehmen. Doch dann wurde die Neugier in mir sehr stark, sodass ich mich 2021 selbstständig gemacht habe. Seither ist meine Lernkurve noch steiler geworden. Projekte wechseln sich schneller ab als früher. Und ich nehme mir parallel Zeit zum Lernen, in dem ich mich zu einigen Themenbereichen zertifizieren lasse, also Kurse und Prüfungen mache, damit für alle sichtbar ist, dass ich das, was ich anbiete, “wirklich kann“.
Aber das macht auch viel Spaß, weil ich dort immer auch neue coole Menschen treffe, mit denen das Lernen noch mehr Freude macht.

Was bedeutet eigentlich Transformation und was machst du in deinem Berufsalltag?
In meinem Alltag begleite ich Organisationen (d. h. Unternehmen oder Gruppen) aber auch Einzelpersonen bei Transformationen, also ihren Veränderungsprozessen, zu einem Ziel. Das hat vielfältige Projekte zufolge. Manchmal ist es ein Workshop, bei dem wir uns über das Ziel Gedanken machen, oder ein anderes Mal begleite ich die Gruppe ein Stück auf ihrem Weg. Wenn Einzelpersonen sich eine individuelle Unterstützung wünschen, nennt man das dann Coaching.

Transformation kann man mit einer Reise vergleichen. Du bist an einem Punkt und denkst so grob in die Richtung, in die es gehen könnte und arbeitest dich dann Schritt für Schritt und Abschnitt für Abschnitt auf dieses Ziel zu. Während dieser Reise lernst du ganz viel und deswegen wird sich auch das Ziel immer wieder verändern, weil du neue Perspektiven darauf bekommst. Transformation ist also eine Reise in eine bestimmte Richtung, die mit vielen Lernerfahrungen und persönlichem Wachstum verbunden ist. Wir kennen Transformation auch aus der Natur: Die Raupe futtert sich gänzlich voll, wächst und wenn sie an einem bestimmten Zeitpunkt ist, verpuppt sie sich in einem Kokon. In ihr gibt es die Imago-Zellen (ich nenne sie gern Neugier-Zellen), die die Transformation der Raupe veranlassen. Nach einiger Zeit schlüpft ein Schmetterling. Dieses Bild zeigt gut, was Neugier und Freude an Weiterentwicklung in uns bewirken kann.

Mit wem würdest du richtig gern mal einen Kaffee trinken?
Ich würde gern Frauen treffen, die in ihrer Zeit jeweils sehr hart kämpfen mussten, um ihr Leben so leben zu können, wie sie es wollten. Da wäre zum Beispiel eine Schriftstellerin, die vor 300 Jahren gelebt hat: Anna Louisa Karsch. Sie konnte von ihren Einnahmen als Dichterin und Poetin leben und das war damals sehr außergewöhnlich. Kennt man heute ihre Werke? Eher nein, ich bin auf sie gestoßen, weil in meiner Nähe eine Straße nach ihr benannt wurde. Oder die Malerin Paula Modersohn-Becker: Sie hat sehr frei gelebt und sich voll auf ihre Kunst konzentriert, entgegen allen Konventionen und Erwartungen, die die Gesellschaft um 1900 an sie hatte. Ich würde gern mit diesen Frauen über das sprechen, was sie in ihrer Zeit erlebt haben und wo sie die Energie hergenommen haben, ihren Weg immer weiterzugehen.

Siehst du auch Transformation mit Blick auf die Gleichberechtigung in der MINT-Branche?
Absolut! Auch die MINT Bereiche und die Branche muss sich entwickeln. Denn natürlich können Mädchen und Frauen genauso gute Software entwickeln wie Männer. Sie haben oft einfach auch einen anderen Blick darauf und gehen Sachen anders an. Frauen sind aber im Unterschied zu Männern oft selbstkritisch und sie sind nicht die ersten, die ganz laut „hier!“ schreien, wenn es darum geht, ins Rampenlicht zu treten. Ich wünsche mir, dass sich das immer mehr ändert: Frauen und Mädchen dürfen mutiger werden. Auch der Rahmen, in dem man im MINT Bereich zusammen lernt und arbeitet, soll sich endlich für die Vielfalt öffnen. Es muss die Erkenntnis geben, dass Menschen die stiller sind, die sich nicht in den Vordergrund drängen, genauso ernst genommen werden und aktiv eingebunden werden. Diese Transformation wünsche ich mir sehr, nicht nur für den MINT-Bereich, sondern generell in der Gesellschaft.

Gab es Situationen, in denen du dich als Frau nicht richtig am Platz gefühlt hast? Wie bist du damit umgegangen?
Ich erinnere mich an Situationen, in den ich mich fehl am Platz gefühlt hab. Klar! Nämlich immer dann, wo ich „allein unter Männern“ war und wenn es dann darum ging, besonders viel Alkohol zu trinken und besonders flache Witze zu machen. Da habe ich mir oft gewünscht, nicht aus beruflichen Gründen hier mit diesen Herren sitzen, sondern einfach gehen zu können. Heute würde ich das auch machen. Mit vielen Jahren mehr Lebenserfahrung würde ich aufstehen und sagen: Leute, das finde ich nicht gut. Damals habe ich es einfach ausgehalten und durchgehalten. Die Zeiten ändern sich. Daher kann ich nur mitgeben: Wenn Euch etwas nicht guttut, sprecht die Situation mit Respekt und nicht wertend an und verlasst sie eventuell auch.

Du hast auch in der Automobil- und Tech-Branche gearbeitet. Was hat dich dort besonders geprägt?
In meiner Erfahrung ging es in der Automobil und Tech-Branche zu oft um kurzfristigen Erfolg oder das zu schnelle Entwickeln von Dingen, um der erste zu sein. Ich habe immer versucht unsere Projekte im Nachhinein zu reflektieren. Damals habe ich schon oft Widerstände hervorgerufen, weil ich Dinge anders machen wollte. Trotzdem habe ich auf diesem Weg viel lernen dürfen und natürlich tolle Menschen kennengelernt. Heute allerdings habe ich kein Auto mehr, denn das brauche ich in Berlin gar nicht.

Welchen Tipp würdest du heute deinem 12-jährigen Ich geben?
Als ich zwölf war, lebte ich noch in einem anderen Land, nämlich in der DDR. Ich war dort ein glückliches Kind. Ich habe schon immer gerne gelernt. Ich hatte tolle Eltern, Freund:innen und alles, was ich brauchte. Mit dem Wissen von heute, wie sich dann zu meinem 18. Geburtstag mit dem Mauerfall und dem Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten die Welt verändert hat, würde ich meinem Zwölfjährigen Ich mitgeben: Sei neugierig und trau dich. Mach das, was in deinem Bauch, in deinem Kopf, in deinem Herzen ist und lass dich von anderen Menschen nicht davon abhalten. Du bist gut, so wie du bist.

Du bist auch als Mentorin bei Wir stärken Mädchen aktiv, warum ist dir das Thema des Programms wichtig? Was möchtest du den Mädchen mitgeben?
Ich mag das Programm, weil es zu einer Zeit im Leben von den Mädchen ansetzt, wo es darum geht, schon in sehr jungen Jahren sehr weitreichende Entscheidungen zu treffen. Was die schulische Ausbildung und Qualifikationen angeht, genauso wie Hobbies und Interessen.

Manchmal ist es so, dass Mädchen von Freund:innen oder der Familie einen Rat bekommen, denn diese Menschen möchten das Beste für die Person. Aber vor lauter guten Ratschlägen wird sie vielleicht unsicher. Das höre ich oft, wenn ich im Job Coaching mit jungen Menschen arbeite.  Mir ist es wichtig, den Mädchen den Rücken zu stärken und zu sagen: Findet heraus, was euch gefällt, worin ihr euch wohl fühlt und was ihr in der nächsten Zeit machen möchtet. Das geht zum Beispiel durch Ausprobieren, indem ihr ein Praktikum oder eine Hospitation macht, einen Schnuppertag teilnehmt oder durch Gespräche mit Menschen. Was ich auch mitgeben kann: Kein Job dauert mehr bis zur Rente. Diese Erfahrung hat die Elterngeneration vielleicht noch geprägt, aber wir sind heute in einem regelmäßigen Wandel. Wie wir uns beruflich aufstellen und was wir machen möchten. Es verändert sich parallel so viel in Technologie und Gesellschaft, womit wir zurechtkommen müssen. Und das Beste ist, Veränderung als zu Chance zu sehen, denn neue Situation und Abschnitte bedeuten auch wieder neue Erfahrungen. Das macht uns smarter und wir erkennen immer besser im Lauf unseres Lebens, was uns guttut, was wir machen möchten und dabei möchte ich gerne unterstützen.

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