Gertrude Belle Elion
Pionierin der Chemotherapie

Die jüdische Chemikerin Gertrude Belle Elion hat wichtige Grundlagenforschung zur Wirkung von Medikamenten betrieben. Auf ihren Erkenntnissen beruht zum Beispiel die moderne Chemotherapie, wofür sie sogar den Medizin-Nobelpreis erhielt. Bildquelle: GlaxoSmithKline plc - GSK Heritage Archives unter der Lizenz CC BY-SA 4.0

Nobelpreisträgerin Gertrude Belle Elion studierte Chemie, um bessere Therapien gegen Krebs zu entwickeln. Sie revolutionierte die Art, wie wir über Medikamente denken.

Gertrude Belle Elion ist 15 Jahre alt, als sie ihren Großvater an Krebs sterben sieht. Sie beschließt, etwas dagegen zu tun, dass Menschen so qualvoll sterben. Dieser Entschluss wird die Therapie vieler Krankheiten von Grund auf ändern – und dem Mädchen von damals den Medizin-Nobelpreis einbringen. Dazwischen liegt die Geschichte einer Frau, die sich mit starkem Willen an die Spitze der rationalen Therapie arbeitet. Ihr Verdienst sind Medikamente, deren Wirkung auf genauer Kenntnis der biochemischen Prozesse von Krankheitserregern und erkrankten Zellen beruht. Das macht diese Medikamente nicht nur wirksamer, sondern auch besser verträglich.

Die Armut ihrer Familie kostet sie fast die wissenschaftliche Karriere
Beinahe jedoch hätte sie diesen wissenschaftlichen Lebensweg schon am Startpunkt aufgeben müssen. Gertrude Belle, genannt Trudy, kommt 1918 in New York zur Welt. Elf Jahre später verliert ihre Familie im Börsencrash praktisch ihr gesamtes Vermögen. Ihren ersten Collegeabschluss in Naturwissenschaften schafft sie am staatlichen Hunter-College, einer Hochschule für Frauen, die damals kostenfrei ist. Für ihr Masterstudium aber braucht sie ein Stipendium, das sie trotz hervorragender Noten nicht bekommt. Sie habe oft gehört, dass Frauen in der Chemie nichts zu suchen hätten, wird Gertrude Elion 1988 sagen, als sie den Nobelpreis für Medizin erhält.

Mit Jobs als Telefonistin oder Lehrerin spart sie sich das nötige Geld zusammen. Der Zweite Weltkrieg zieht gerade auf, als sich Gertrude Ellion an der New York University einschreibt. Sie arbeitet tagsüber und studiert nachts. 1941 hat sie den Abschluss in Chemie in der Tasche. Es ist eine Zeit großer Durchbrüche in Medizin und Naturwissenschaften. So lassen etwa die neuen Elektronenmikroskope 1940 zum ersten Mal den Nachweis der Existenz von Viren zu. Für Gertrude Elion wird das wichtig werden.

In der rationalen Therapie ist sie endlich am richtigen Platz
Doch sie beginnt zunächst als Laborantin in der Lebensmittelindustrie. Viele kämpfen im Krieg, weshalb die Labore nun auch Frauen akzeptieren. 1944 erhält sie schließlich das Angebot, das sie ihren eigentlichen Zielen näherbringt: Beim Pharmaunternehmen Burroughs Wellcome & Company wird sie Assistentin von George H. Hitchings. Der Biochemiker hat sich einer wissenschaftsbasierten Entwicklung von Medikamenten verschrieben. Viele große Entdeckungen der Medizin – etwa Röntgenstrahlen oder Penicillin – basieren bis dahin auf Zufall oder dem Prinzip von Versuch und Irrtum.  George Hitchings will das ändern.

Er beginnt, den Zellstoffwechsel zu erforschen, um Medikamente entwickeln zu können, deren chemische Reaktionen so gezielt in diesen Stoffwechsel eingreifen, dass die erkrankten Zellen oder Krankheitserreger absterben. Seiner hochtalentierten Assistentin lässt er nicht nur freie Hand, sich mit der Erforschung von Ribonukleinsäure und Proteinbildung zu befassen. Er sorgt auch dafür, dass ihre wissenschaftlichen Erfolge bekannt werden. Auf allen Publikationen sind beide Namen genannt. Das ist damals nicht selbstverständlich.

Von Leukämie bis AIDS: Viele Medikamente beruhen auf ihrer Arbeit
Einer der ersten Durchbrüche von Gertrude Elion wird ein Medikament gegen die akute lymphatische Leukämie (ALL) bei Kindern. Es verändert gezielt den Eiweißstoffwechsel der erkrankten Zellen, die dadurch absterben. Die ALL-Therapie funktioniert bis heute nach diesem Grundprinzip. Die Überlebenschancen der Kinder sind von 10 Prozent in 1950er Jahren auf heute 90 Prozent gestiegen. Da das Medikament die Immunreaktion im Körper unterdrückt, bringt es bald darauf auch die Organtransplantation voran.

Ein weiteres Forschungsfeld von Gertrude Elion werden Viren. Sie übernehmen die Zellen ihrer Wirte, wofür ebenfalls Proteinreaktionen verantwortlich sind. Entgegen der gängigen wissenschaftlichen Meinung, wonach Medikamente gegen Virenerkrankungen zwangsläufig auch am Körper des Wirts großen Schaden anrichten würden, forscht die Wissenschaftlerin – seit dem Ruhestand von George Hitchings selbst als Abteilungsleitern – an Möglichkeiten, nur das Virus zu bekämpfen. So schafft sie wichtige Grundlagen für die Behandlung von Krankheiten wie AIDS oder Herpes. Coolness und Durchhaltevermögen, kritisches Denken und Zusammenarbeit sind die wichtigsten Kompetenzen von Gertrude Elion – die heute mehr denn je als Zukunftskompetenzen gelten.

Der Wissenschaft widmet sie ihr gesamtes Leben
Den Nobelpreis erhält sie 1988 zusammen mit George Hitchings und einem weiteren Wissenschaftler namens James Black für ihre Errungenschaften in der rationalen Therapie. Sie sieht es als Bestätigung, ihr Lebensziel erreicht zu haben; bessere Therapiechancen für die Menschen zu entwickeln. Dem widmet sie ihr gesamtes Leben. Seit 1983 ist Gertrude Elion zwar offiziell im Ruhestand. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1999 wird sie dennoch an fast jedem Tag an ihrem Arbeitsplatz erscheinen.

Text: Claudia Parton
Foto: GlaxoSmithKline plc – GSK Heritage Archives unter der Lizenz CC BY-SA 4.0
Cookies