Informatik lässt Persönlichkeiten wachsen

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„Wie bringen wir die Giraffe dazu, zum Futter zu gehen?“ fragen sich Nahla, Luisa und Maya. „Und was passiert, wenn sie es gefunden hat, oder das Falsche frisst?“ Auch wenn es zunächst so klingt – mit Tierkunde beschäftigen sich die Schülerinnen im Computerraum des Maxdorfer Lise-Meitner-Gymnasiums gerade nicht. Vielmehr überlegen sie, wie sie die tierischen Aktionen mit Programmierbefehlen auslösen und auf dem LED-Display eines Mini-Computers darstellen können. Über zwanzig Schülerinnen zwischen 12 und 14 Jahren tüfteln gerade an ähnlichen Projekten, sie besuchen die Informatik-AG für Mädchen.

 Mehr Selbstbewusstsein für gemischte Klassen
„Mit diesem Angebot wollen wir mehr Schülerinnen für das Wahlpflichtfach Informatik in der 8. Klasse begeistern. Noch sitzen dort mehr Jungen als Mädchen“, sagt Mathematik- und Informatiklehrerin Julia Müller. Sie gründete die AG im Rahmen von Wir stärken Mädchen – future ready, um den Siebtklässlerinnen ein geschütztes Umfeld zu bieten, sich auszuprobieren und Selbstbewusstsein für die gemischten Informatik-Klassen zu gewinnen. „Ich möchte besser mit dem PC arbeiten können“, erhofft sich die zwölfjährige Maya. „Ich möchte eine Vorstellung davon bekommen, was mich in dem Fach erwartet“, sagt Katarina, die überlegt, Informatik als Wahlpflichtfach zu nehmen. Für die meisten Teilnehmerinnen ist die Fächerwahl nur zweitrangig: „Es soll vor allem Spaß machen“, findet Nahla. Für sie liegt der Vorteil der AG darin, „dass man sich viel mehr zutraut“. Und ihre Mitschülerin Luisa sagt: „Es ist auch leiser als mit Jungs.“ Begleitet werden die Siebtklässlerinnen von Tutorinnen aus der 9. Klasse, eine von ihnen ist die 14-jährige Marie: „Ich fand Informatik schon immer cool“, sagt die Schülerin, die schon im zweiten Jahr das Wahlpflichtfach Informatik besucht. Damals selbst neu in dem Fach, hätten die Tutorinnen mittlerweile ein gutes Verständnis für Informatik entwickelt und geben dieses motiviert an die Jüngeren weiter, erklärt Lehrerin Julia Müller. „Die Mädchen lernen voneinander, durch eigenständiges Ausprobieren und Entdecken.“

Kompetenzen über das Programmieren hinaus
In einer ruhigen und konzentrierten Atmosphäre überlegen sich die Schülerinnen gruppenweise ein Projekt für ihren Mini-Computer. Entweder, wie die Giraffe, „ein Tier zum Kümmern“ oder Geschicklichkeitsspiele. Aufmerksam hören sie einander zu, während eine nach der anderen ihre Idee äußert: „Man könnte das so programmieren, dass man A drücken muss, wenn ein Kreis kommt und B, wenn man ein Dreieck sieht“, überlegt eine Zwölfjährige. „Gute Idee, und dazu noch ein Countdown“ ergänzt ihre Mitschülerin. Ein Mädchen zeichnet Symbolfolgen auf ein Papier: Kreis, Kreis, Dreieck, Quadrat… „Wenn man beim Quadrat drückt, gibt es Punkteabzug“, schlägt sie vor. „Hm, ist das nicht vielleicht zu kompliziert?“, wirft ihre Sitznachbarin ein. Die Mädchen überlegen nochmal – und finden schließlich einen Kompromiss. Auf diese Weise legen die Schülerinnen innerhalb nur weniger Minuten all die Fähigkeiten an den Tag, die das Programm Wir stärken Mädchen fördert: Kommunikation, Kooperation auf Augenhöhe, Neugier, Kreativität und kritisches Denken, aktives und selbstbewusstes Auftreten. Dabei lässt die Informatik-AG nicht nur die Persönlichkeiten der jüngeren Teilnehmerinnen wachsen: „Mich beeindruckt vor allem das Engagement der Tutorinnen. Sie haben sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt“, sagt Julia Müller.

Weiblicher Nachwuchs für die Informatik
Manche Schülerinnen aus der AG könnten sich vorstellen, später einen Beruf mit Informatik-Bezug zu wählen. Für die meisten kommen solche Überlegungen allerdings zu früh, für sie stehen das spielerische Hineinschnuppern in das Fach und der Spaß an erster Stelle. „Man lernt ja auch Dinge, die man braucht, wenn man nicht Informatik machen möchte“, bringt es die zwölfjährige Mathilda auf den Punkt. Trotz alledem fände Lehrerin Julia Müller es schön, wenn sie ein paar Mädchen auch langfristig für den vermeintlich männertypischen Beruf begeistern könnte: „Informatik ist ein spannendes Fach und eröffnet gute Berufschancen – warum sollte das den Mädchen entgehen?“ Mit der AG möchte sie ihren Teil dazu beitragen, potenziellen Nachwuchs zu fördern – schließlich gäbe es in der Wirtschaft und an den Schulen zu wenig Fachkräfte mit ausreichend Informatikkenntnissen.

Einen Mangel an Schüler:innen im Informatik-Wahlpflichtfach gibt es dieses Schuljahr jedenfalls nicht: „Wir haben zum ersten Mal zwei Informatik-Kurse vollbekommen, mit einem Mädchenanteil von knapp 40 Prozent, das ist auch der Verdienst von Frau Müller“, freut sich Oliver Hauck, stellvertretender Schulleiter. „Man kann bei uns auch das Abitur in Informatik machen, das ist eine Besonderheit in der Region.“ Vor etwa zwei Jahren wurde das Lise-Meitner-Gymnasium in das bundesweite MINT-EC Excellence Schulnetzwerk aufgenommen. Dieses fördert Schülerinnen und Schüler in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. „Die Informatik-AG ist ein Baustein des MINT-EC Angebots“, sagt Schulleiter Martin Storck.

Attraktives Angebot weckt Interesse
Das Programm Wir stärken Mädchen gab dem Vorhaben „Informatik AG“ den nötigen Anschub, berichtet Julia Müller. Sie nutzte die Fördergelder, um die Micro-Computer sowie „Smart Home“-Erweiterungssets zu anzuschaffen und die Gruppendynamik auf einem Ausflug in ein Technikmuseum zu stärken. Weitere Exkursionen und ein Löt-Workshop sind geplant. „Das absolute Highlight war die WSM-Netzwerkveranstaltung in Nürnberg, wo wir uns mit anderen Projektgruppen austauschen konnten“, schwärmt Julia Müller. Überdies seien auch fächerübergreifend neue Freundschaften entstanden.

Mit all diesen positiven Eindrücken im Gepäck fiel es den jetzigen Tutorinnen nicht schwer, neue Schülerinnen für die aktuelle AG zu werben. „Als ich die hohen Anmeldezahlen für die Informatik AG gesehen habe, war ich erst einmal perplex – im positiven Sinne“, sagt Martin Storck. „Das zeigt doch am besten, dass Computer und Informatik nicht nur was für Jungs sind. Bei uns stehen die Mädchen mehr als gleichberechtigt da.“

Text: Carolin Grehl
Fotos: © DKJS / LYS Y. SENG
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