Diese Igelhäuser sind Mädchensache
Am Hildegard-Wegscheider-Gymnasium in Berlin-Grunewald gibt es in den siebten Klassen viel mehr Jungen als Mädchen. Eine Umwelt-AG nur für sie soll die Schülerinnen ermutigen, praktisch zu arbeiten und ungestört ein eigenes Projekt an der Schule zu planen und umzusetzen. Funktioniert das? Ein Projektbesuch.
„Das sieht ja aus wie weiße Schokolade.“ Lachend tauchen die Mädchen ihre Pinsel in den Topf mit der Lasur, um sorgsam die hellen Holzkästen einzustreichen, die vor ihnen auf den Bodenplatten des Hausmeister-Gartens liegen. Es ist der Schlussstrich unter ein Projekt, das 17 Mädchen am Hildegard-Wegscheider-Gymnasium in Berlin nach Unterrichtsschluss vorangetrieben haben. Die Igelhäuschen ihrer Umwelt-AG werden am Ende des Tages fertig sein. Bald sollen sie auf dem Schulhof stehen; hinter Bäumen, unter Sträuchern, neben dem Basketballfeld.
„Ihr müsst aufpassen, dass ihr alle Stellen erwischt, sonst verrottet im Freien das Holz zu schnell“, sagt Frau Killmer, AG-Leiterin und Biologielehrerin der meisten Mädchen, die an diesem Nachmittag konzentriert mit der Holzlasur arbeiten. Für die Lehrerin geht es nun darum, eine erste Bilanz zu ziehen. Das Projekt „Igelhäuschen“ ist Teil des Programms Wir stärken Mädchen. Es soll handwerkliche Fähigkeiten fördern, aber mehr noch den Mädchen der siebten Klassen ausreichend Raum im Schulalltag eröffnen. „Ich finde, das haben wir ganz gut hinbekommen“, sagt die Lehrerin.
Zwei Drittel Jungs, ein Drittel Mädchen – da fallen die Mädchen zurück
Die Idee zur AG entsteht im Frühsommer 2021. Die Schülerinnen des Hildegard-Wegscheider-Gymnasiums sollen in einem eigenen Projekt bestärkt werden, sich mit handwerklichen Berufen auseinanderzusetzen und ein eigenes Projekt in der Umwelt-AG umzusetzen.
Der Anmeldestand der kommenden siebten Klassen ist zu dieser Zeit unausgewogen: zwei Drittel Jungs, ein Drittel Mädchen. Eine einigermaßen ausgewogene Aufteilung in die geplanten drei Klassen ist kaum möglich. Frau Killmer sagt: „In solchen Konstellationen ist es häufig so, dass die Jungs den Vordergrund bespielen und die Mädchen immer leiser werden.“ Frau Killmer ist jung, zugewandt und engagiert. Sie möchte die Mädchen dazu ermutigen, sich einzubringen und neue Dinge auszuprobieren.
Umwelt und Frau Killmer, das ist eine Kombination, die zieht. Auf Anhieb melden sich 17 Mädchen für die Umwelt-AG an. „Die Jungs wollten auch, aber ich bin froh, dass wir hier mal unsere Ruhe haben“, sagt Lucy, die eine der siebten Klassen besucht. Sie trägt weite Jeans, einen sportlichen Pullover und die Haare locker im Nacken zusammengebunden. Lucy sagt, sie habe eigentlich nicht das Gefühl, als Mädchen in eine Rolle gedrängt zu werden. Das Hildegard-Wegscheider-Gymnasium ist nach einer Frauenrechtlerin benannt. Es befindet sich in Grunewald, einem wohlhabenden Stadtteil Berlins. In den Häusern gibt es viel Platz für Ideen und Projekte, zum Beispiel für das Baumhaus, das Lucy mit ihrer Tante und ihrem Onkel gebaut hat. Der Vater von Lan hat im Keller sogar eine richtige Werkstatt eingerichtet. „Da haben wir natürlich schon oft mit Holz gebastelt“, sagt das Mädchen.
Viele Antworten sind richtig, aber sie melden sich nicht
Trotzdem sieht Frau Killmer schon kurz nach Schuljahresbeginn, dass in den Biologieheften der Mädchen zwar viele Antworten richtig sind – sie diese Antworten von sich aus aber kaum in den Unterricht einbringen. „Die Jungs machen gar nichts Schlimmes. Sie sind eben präsent, reden laut und werfen sich im Unterricht Witze zu. Die Mädchen hingegen halten sich lieber zurück.“ Als im Herbst die klassenübergreifende Umwelt-AG startet, haben die Mädchen die Möglichkeit, Mädchen der anderen Klassen kennenzulernen und sich gemeinsam als Gruppe zu erleben.
Frau Killmer möchte, dass sich die Mädchen in jeden Schritt des Igelhotelbaus einbringen. Die Mädchen schauen YouTube-Videos zur Lebensweise von Igeln. Sie zeichnen Pläne, sägen Platten zurecht, nageln Dachpappe auf Bretter. Beim Holzbau weiß sie manches nicht. Dann sagt sie: „Ich finde das heraus und sage euch nächste Woche Bescheid. So geht sie als junge Frau mit gutem Beispiel voran und vermittelt: Es ist okay, nicht alles auf Anhieb zu wissen. Kein Grund, sich selbst in Frage zu stellen.
Ein Wettbewerb, den niemand als Mädchenkram abtut
Als die Wände der Igelhäuschen stehen, kommt Wettbewerb unter den Mädchen auf. Sie zimmern winzige Briefkästen, gestalten Namensschilder und kleben Klingelknöpfe auf. Frau Killmer freut sich – über das Selbstbewusstsein ihrer Schülerinnen und über die ausgelassene Stimmung an diesem Nachmittag. Dass die Schülerinnen untereinander auch Lautstärke sehr gut beherrschen, zeigt sich zuletzt an jenem Nachmittag, an dem die Häuschen schließlich fertig werden.
Frau Killmer schickt sie an die Mülltonnen, Pappe holen, damit der Boden im Schulgarten keine Lasur abbekommt. Doch die Mädchen kommen nicht zurück. Zwei von ihnen sind in den Container geklettert. Der Rest steht drum herum und lacht sich kaputt. Frau Killmer schmunzelt bei diesem Anblick. Sie sagt, dass sich diese neue Lebendigkeit auch im Unterricht zeigt. Die Mitarbeit sei besser geworden. „Wichtig war, dass wir uns auch mal außerhalb des Unterrichts erlebt haben. Jetzt trauen sich die Mädchen in Bezug auf mich viel mehr zu.“
Die Lehrerin will flexible Übergänge – überall
Wie es mit der Umwelt-AG weitergeht, ist offen. Aus Wir stärken Mädchen ist noch Geld übrig. Frau Killmer würde gern noch ein neues Projekt mit den Mädchen angehen – zum Beispiel ein Insektenhotel bauen. Aber die Jungs haben schon gesagt, dass sie mitmachen wollen. Zudem will das Gymnasium künftig enger mit der Integrierten Sekundarschule Wilmersdorf zusammenarbeiten, die ihre Holzwerkstatt bereits für das Projekt „Igelhäuschen“ zur Verfügung gestellt hat.
Auch Lucy könnte sich vorstellen, Frau Killmer und die Umwelt-AG in Zukunft mit ein paar Jungen zu teilen. „Die nerven zwar manchmal, aber damit werden wir schon fertig.“