DIE IT-GIRLS VOM GRÜNEN CAMPUS MALCHOW

© DKJS / Claudia Paulussen

„Guten Morgen, es ist Montag. Wir haben es mal wieder geschafft.“ Franziska Alberts strahlt in ihre Klasse und sieben Gesichter blicken zurück; muntere, gelangweilte, interessierte, unkonzentrierte. Aber stets sind es Gesichter von Mädchen. Zwei mehr sollten es sein. Franziska Alberts prüft die Klassenliste. „Sind entschuldigt. Dann legen wir los“, sagt sie und öffnet Scratch, eine Informatik-Lernplattform für Kinder.

Es ist eine besondere Klasse, die Franziska Alberts hier unterrichtet: Wahlpflicht Informatik in der 7. Klasse, reserviert für Mädchen, die frisch mit dem Programmieren beginnen. Am Grünen Campus Malchow in Berlin kommt das einer kleinen Revolution gleich, doppelt sogar – eine Wahlpflichtklasse Informatik nur für Mädchen und gleich im ersten Anlauf neun Schülerinnen, die jeden Montag freiwillig zwei Stunden mehr als nötig am Computer sitzen und programmieren. „Normalerweise melden sich für die Wahlpflichtklassen ein oder zwei Schülerinnen an“, sagt Franziska Alberts.

Sie dreht Werbevideos und stellt sich den Fragen der Mädchen
Sie selbst ist Bioinformatikerin. Sie arbeitet als Softwarenentwicklerin, bevor sie als Quereinsteigerin in den Lehrberuf wechselt. Seit fast zwei Jahren liegt sie Schulleiter Tobias Barthl in den Ohren: „Wir müssen mehr Mädchen für die Informatik begeistern.“ Der drückt ihr irgendwann die Ausschreibung für Wir stärken Mädchen in die Hand. „Denken Sie sich etwas aus.“

Das tut Franziska Alberts. Sie setzt durch, dass die siebte Jahrgangsstufe eine reine Mädchenklasse für Informatik erhält. Mit den Mitteln aus Wir stärken Mädchen schafft sie Technik an: Raspberry Pi zum Beispiel, eine Open-Source-Technik, die jungen Menschen das Erlernen von Programmier- und Hardware-Kenntnissen erleichtert und auch Internet der Dinge kann, eine Robotik-Plattform oder einen smarten Spiegel. Dann dreht sie ein Werbevideo, lädt es bei YouTube hoch und stellt sich vor jeder einzelnen Klasse den Fragen der Mädchen. Ob sie Roboter programmieren müssen, wollen sie wissen. Franziska Alberts sagt, dass sie sich etwas anderes ausgedacht hat; eine smarte Bewässerungsanlage für den Schulhof und den magischen Spiegel, der auch das Wetter und die nächste Straßenbahn anzeigen kann. Ob sie wirklich glaube, dass sie das können, fragen die Mädchen. „Natürlich“, gibt Franziska Alberts zurück. „Warum denn nicht?“

Informatik: Nur für Jungs, die ständig am Computer basteln?
Am Ende hat sie neun Schülerinnen davon überzeugt, Informatik als Wahlpflichtfach zu wählen. Frieda zum Beispiel. Frieda will eigentlich in die Sportklasse. Aber Sport ist schon voll. Darüber ist Frieda nun froh. „Informatik macht mir Spaß. Frau Alberts kann den Stoff gut erklären und sie hat immer gute Laune“, sagt die 12-jährige.

Frieda hat in allen naturwissenschaftlichen Fächern hervorragende Noten. In ihrer Freizeit zockt sie mit ihrem besten Freund am Computer. Ohne Franziska Alberts wäre sie wahrscheinlich trotzdem nicht in die Wahlpflichtklasse Informatik gekommen. Informatik, denkt sie, ist etwas für Jungs, die ständig am Computer herumbasteln und alles selber reparieren. Nun sagt sie: „Vielleicht entwickle ich später Computerspiele. Ich habe schon viele Ideen.“

Das Programmieren mit Scratch fällt Frieda leicht. Oft ist sie früher fertig als alle anderen.  Dann langweilt sie sich. Daneben gibt es Mädchen wie Lina. Sie sitzt am Computer und schimpft vor sich hin. „Ich bin so blöd, ich kapiere das nie.“ Franziska Alberts hat Zeit für alle. Sie verteilt Extraaufgaben an Frieda und steht gleich darauf hinter Lina am PC. „Na klar, kapierst Du das. Schau mal, Du hast es doch gerade richtig gemacht.“

Franziska Alberts sagt: „Es gibt viel weniger Druck in dieser Klasse, viel weniger Konkurrenz zwischen den starken Schülerinnen und denen, die länger brauchen.“ Schulleiter Tobias Barthl hingegen vermag nicht zu sagen, ob das an der reinen Mädchenklasse liegt – oder daran, dass diese Klasse so klein ist. Neun Schülerinnen auf eine Lehrerin: „Das ist natürlich ein optimales Verhältnis.“

Der Schulleiter hätte lieber kleinere Klassen statt getrennten Unterrichts
Tobias Barthl hat noch nicht entschieden, wie er den Vorstoß von Franziska Alberts finden soll. Der Pädagoge hat sich sein Berufsleben lang für inklusiven Unterricht eingesetzt. Der Grüne Campus Malchow ist eine Gemeinschaftsschule. Hier lernen auch Kinder und Jugendliche, die emotional oder sozial auffällig sind, nicht sehen können oder eine Gehhilfe brauchen. Tobias Barthl findet, dass sie alle in den Regelunterricht gehören. Und nun sollen Mädchen und Jungen getrennt voneinander lernen? „Ich kenne natürlich die Studien, die sagen, dass es Mädchen gut tut, wenn sie in den naturwissenschaftlichen Fächern unter sich sind.“ Aber er glaubt auch: „Wenn unsere Klassen immer so klein wären, dass wir auf die Schülerinnen und Schüler so eingehen könnten, wie sie es brauchen, dann wäre getrennter Unterricht obsolet.“

Kleinere Klassen aber sind nicht in Sicht. Deshalb lässt Tobias Barthl ein anderes seiner Prinzipien gelten: Er hört sich jede Idee an und wenn er findet, dass es auch nur den Hauch einer Chance gibt, sie könnte erfolgreich werden, sagt er: „Probier’s aus.“ Das sagt er auch zu Franziska Alberts. Im Lehrerkollegium stellt er seine Bedenken zurück und sich selbst bedingungslos hinter sie – und deshalb lernt seit Oktober auch Schülerin Emma freiwillig mehr Informatik als unbedingt nötig.

Emma hat sich erst für Spanisch entschieden. Dann stellt sie fest: Das ist nichts für mich. Sie will zur Kunst. Aber die Klasse ist schon voll, ganz überwiegend mit Mädchen. Bei Informatik gibt es noch Plätze. Heute sagt Emma: „Ich hab gar nicht gewusst, dass man beim Programmieren so kreativ sein muss.“ Und die Jungen? Sie fehlen ihr nicht. Emma findet sie oft laut und nervig. „Aber sie stören mich auch nicht, wenn sie da sind. Ich sage trotzdem immer, was ich denke.“

Frühe Rollen: Die Mädchen gleichen die Klasse aus
Franziska Alberts sagt: „Die Mädchen merken oft gar nicht, wie sie immer leiser werden.“ Im Fachbereich Informatik hat sie zwei Kollegen. Einer ist strikt gegen den getrennten Unterricht. Er hat nun die reine Jungenklasse. Da ist es laut und der Kollege findet, dass da ein paar Mädchen fehlen. So gehe das los mit den Rollenklischees, sagt Franziska Alberts. „Die Mädchen sollen in Ruhe ausprobieren, ob sie Informatik mögen. Es ist nicht ihre Aufgabe, Ruhe in die Klasse zu bringen.“

Also wird es die getrennte Informatikklasse in der 7. Jahrgangsstufe wohl auch im nächsten Schuljahr geben. Neun Mädchen, die freiwillig Informatik lernen – für Franziska Alberts ist das ein Erfolg. Schulleiter Tobias Barthl sagt: „Ein Erfolg wäre es, wenn sie auch zur Computernacht unserer Schule kommen.“ Zwei oder drei Jahre werde man dem geben müssen. Bis dahin lässt er Franziska Alberts freie Hand. „Sie ist die Expertin. Sie wird wissen, was funktioniert und was nicht.“

Die Schülerinnen des Wahlpflichtfachs Informatik der 7. Klasse in Berlin Malchow bleiben jeden Montag zwei Stunden länger und programmieren.
Alle Bilder © DKJS / Claudia Paulussen
Text: Claudia Parton
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