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Linda Vieback ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Otto von Guericke Universität Magdeburg. Die Bildungswissenschaftlerin hat sich unter anderem mit der Rolle und dem Einfluss der Eltern auf Berufsorientierung und -entscheidung beschäftigt.

Wir stärken Mädchen: Was für eine Rolle spielen Eltern in der Berufsorientierung ihrer Kinder?

Linda Vieback: Die Wahl eines Berufs ist in verschiedenste Kontexte eingebettet. Sie prägen eine Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Tätigkeit. Die Berufsfindung ist dabei eine wichtige Weichenstellung bzw. Entwicklungsaufgabe im Jugendalter. Sie ist geprägt von strukturellen und biografischen Faktoren, welche lange vor der eigentlichen Berufswahl wirken. Hier spielen individuelle Einflüsse und die sogenannten „Gate-Keeper“ (u. a. Eltern, Lehrer*innen, Peergroup) eine entscheidende Rolle. Die Berufswahl wird dadurch gleichzeitig ein dynamischer Entwicklungsprozess im Lebensverlauf, der bereits im Kindesalter beginnt und sich während des späteren Berufslebens fortsetzt.

Berufs- und Studienwahl ist eng mit der Sozialisation verbunden

Dementsprechend ist die Berufs- und Studienwahl als Teil des Sozialisationsprozesses eng mit der Sozialisation innerhalb der Familie verbunden, wodurch Eltern einen großen Einfluss auf die Berufswahl ihrer Kinder ausüben. Insbesondere tragen sie durch ihren elterlichen Erziehungsstil zur Bestärkung (Selbstständigkeit) bei. Zudem haben ihre eigene berufliche Zufriedenheit, die akademische und berufliche Leistungserwartung an ihr Kind, ihr mathematisches Selbstkonzept sowie ihre gelebten und kommunizierten Genderstereotype in den jeweiligen Phasen im Berufs- und Studienorientierungsprozess Einfluss auf ihre Kinder.

Wir stärken Mädchen: Was wünschen sich Eltern von der Berufsorientierung ihrer Kinder von der Schule?

Linda Vieback: Innerhalb des Forschungsprojekts „investMINT – Familiärer Einfluss auf das MINT-Interesse von Töchtern und Konzeption aktiver Beteiligungsformate zur gendersensiblen Studien- und Berufsorientierung“ sind wir u.a. der Frage nachgegangen, welche interaktiven Beteiligungs- und Unterstützungsformate sich Eltern wünschen, um ihre Töchter im Berufsorientierungsprozess adäquat unterstützen zu können. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich über die Hälfte der befragten Eltern explizit Hilfe im Berufs- und Studienorientierungsprozess ihrer Kinder wünschen. Weiterhin sehen sie Schule als die wichtigste Instanz für die Berufsorientierung ihrer Kinder.

Information, Beratung und Praxis

Die expliziten Wünsche der Eltern können in drei Kategorien klassifiziert werden: Information, Beratung und Praxis. Sie sind abhängig davon in welcher Phase der Berufsorientierung sich das Kind befindet. So wünschen sich Eltern, deren Kind sich in der Orientierungsphase befindet, beispielsweise allgemeine Informationen über mögliche Berufs- und Studiengänge, eine individuelle Beratung bezüglich Interessens- und Neigungstest für ihr Kind sowie spielerische und praktische Freizeitangebote.

Eltern, deren Kinder sich in der Entscheidungsphase des Orientierungsprozesses befinden, wünschen sich explizite Informationen über die, von den Interessen und Neigungen der Kinder eingegrenzten, Berufe, individuelle Beratung über Organisation, Ablauf und Finanzierungsmöglichkeiten der Ausbildung beziehungsweise des Studiums sowie Hilfe bei der Suche von Praktikumsplätzen und Unternehmensbesichtigungen.

In der Realisierungsphase wünschen sich Eltern Informationen bezüglich der Suche von Ausbildungs- und Studienplätzen, Beratung hinsichtlich der verschiedenen Bewerbungsverfahren (schriftliche Bewerbung, Bewerbungsgespräch, Assessmentcenter) sowie praktische Bewerbungstrainings. Alle nötigen Informationen sollen über die Schule kommen.

Wir stärken Mädchen: Wie können Eltern im Sinne einer gendersensiblen Berufsorientierung von der Schule mit eingebunden werden?

Linda Vieback: Die bedeutende Rolle der Eltern im Zusammenhang mit der Vielfalt an Entscheidungsmöglichkeiten beim Übergang Schule in die Berufsausbildung bzw. Studium, setzt eine ausgeprägte Orientierungs- wie auch Beratungskompetenz auf Seiten der Eltern voraus. Eltern müssen dabei verschiedene Perspektiven einnehmen. Auf der einen Seite stehen die Kinder mit ihren Wünschen, Interessen und Kompetenzen, die sie entdecken müssen und in denen sie von ihren Eltern bestärkt werden sollen, auf der anderen Seite stehen Anforderungen und Bedarfe der Arbeitswelt sowie der Gesellschaft, in der sich die Eltern (und ihre Kinder) orientieren müssen. Dies in Zusammenhang mit den erhobenen Wünschen der Eltern, zeigt wie Eltern eingebunden werden können.

Individuelle Beratung gewünscht

So hat die Erhebung auf der einen Seite ergeben, dass sich Eltern Informationen, Beratung und Praxis je nach Berufsorientierungsphase des Kindes wünschen, sich jedoch eher weniger mit anderen Eltern austauschen wollen. Hier müsste das Konzept der Eltern(informations)versammlung überdacht und individuelle Beratungen angeboten werden. Weiterhin wünschen sich Eltern Unternehmensbesichtigungen von Unternehmen der Region. Hier wäre die explizite Einbindung der Eltern wünschenswert.

Wir stärken Mädchen: Was ist besonders am Einbezug von Eltern von Mädchen zu beachten, um diese an den MINT-Bereich heranzuführen?

Linda Vieback: Einerseits gehören Eltern zu den wichtigsten Bezugspersonen bei allen Fragen im Rahmen des individuellen (MINT-) Berufs- und Studienprozess ihrer Kinder. Sie haben damit einen erheblichen Einfluss auf diesen. Andererseits ist vielen Eltern dieser immense Einfluss und die damit häufig einhergehende Vorbildfunktion nicht bewusst. Eltern müssen für diesen Prozess sensibilisiert und vorbereitet werden. Insbesondere bei einer Heranführung an den MINT-Bereich gilt es, mit „alten und traditionellen“ Rollenvorstellungen und Denkmustern zu brechen.

Berufliches Selbstkonzept stärken

Eltern müssen erkennen, dass erfolgreiche berufliche und akademische Karrieren im MINT-Bereich nicht mit dem Geschlecht der Jugendlichen im Zusammenhang stehen und dass diese Berufe sowohl für junge Frauen also auch für junge Männer gleichermaßen geeignet sind. Es geht vielmehr darum, dass berufliche Selbstkonzept und die Selbstwirksamkeitswahrnehmungen der Jugendlichen und insbesondere der Mädchen zu stärken, so dass diese in der Lage sind, ein späteres berufliches Tätigkeitsfeld frei nach ihren eigenen Interessen und Vorstellungen zu wählen und sich nicht von irgendwelchen gesellschaftlichen Vorstellungsmustern in bestimmte Felder drängen zu lassen.

Wir stärken Mädchen: Vielen Dank für das Interview.

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