Mira Jago
Gründerin und Softwareentwicklerin

© Mira Jago

Sie hat ihren ersten Computer im Alter von 24 Jahren bekommen. Heute ist sie hauptberuflich Programmiererin – und das mit selbstbeigebrachten Kenntnissen. Mira Jago berichtet im Gespräch mit Wir stärken Mädchen von ihrem Weg und Erfahrungen, die sie als Frau in einem noch immer männerdominierten Beruf täglich macht.

Stell dich gern einmal kurz vor, wer bist du, was machst du beruflich?
Ich heiße Mira Jago, ich bin 39 Jahre alt und habe letztes Jahr eine Tochter bekommen. Ich lebe in Hannover, bin aber auch viel auf Reisen, weil ich remote arbeiten kann. Das ist einer der Gründe, warum ich in diesem Job arbeite.

Weißt du noch, was du als Kind werden wolltest?
Ich hatte viele Vorstellungen: Als ich ganz jung war, wollte ich Schriftstellerin werden, irgendwann wollte ich Popstar werden, auf Bühnen stehen und Musikvideos drehen. Als ich mit der Schule abgeschlossen hatte, war mein erster Wunsch, Publizistik und Arabistik zu studieren, weil ich gerne Auslandskorrespondentin werden wollte, um in Kriegsgebieten zu arbeiten. Ich wollte in diese Gebiete reisen, um zu erzählen, was dort passiert. Das Studium hat mir aber doch nicht gefallen.
Ich habe dann angefangen, Philosophie zu studieren, wodrin ich auch meinen Master gemacht habe. Das hat mir viel Spaß gemacht, vor allem Logik (ein Themenbereich der Philosophie) hat mir gut gefallen. Nach dem Studium hatte ich das Angebot, an der Uni zu bleiben und Philosophie zu unterrichten, habe mich aber dagegen entschieden. Es hat mir gefehlt, dass ich keinen Einfluss auf die Welt damit gehabt hätte.
Neben meinem Studium habe ich immer viel gearbeitet: als Barkeeperin und als Eventmanagerin in Berlin, auch Türsteherin war ich eine Zeitlang und DJ-Bookerin. Ich habe mir mit verschiedenen Jobs mein Geld für mein Studium verdient – das hat mir immer mehr Spaß gemacht, als über Büchern zu hängen.

Wie hast du damals deinen Berufszweig gewählt?
Nach der Uni, mit 28, habe ich mich als Eventmanagerin selbstständig gemacht und schnell gemerkt, dass man damit nicht so viel Geld verdient. Als ich meine erste Anstellung als Coworking Space Managerin und Geschäftsassistenz bekommen habe, bekam ich einen Eindruck davon, wie es ist, Unternehmerin zu sein. So bin ich in der Startup Szene gelandet.
Ich komme aus einer Unternehmer:innenfamilie, mein Vater hat seit vierzig Jahren ein Unternehmen in Hannover, in dem hauptsächlich Männer gearbeitet haben. Immer, wenn ich für ihn auf Messen gearbeitet habe, haben die Männer gearbeitet und die Frauen Kaffee gekocht. Da hatte ich nie Lust drauf.
Deswegen hat mich die Business-Welt nie interessiert und ich wollte immer etwas ganz anderes machen … und dann bin ich doch in der Business Welt gelandet – allerdings in der Startup Welt. Das hat mir viel besser gefallen. Als ich mich dort nach den älteren Frauen in der Szene umgeschaut habe, habe ich gemerkt, dass sie häufig Office Managerinnen waren, Social Media Managerinnen oder Grafik Designerinnen. Also alle in den Bereichen der Organisation oder Kommunikation gearbeitet haben. Die Leute, die in der Szene als „wichtig“ angesehen wurden – die Programmierer:innen, Startup Gründer:innen und die Investor:innen – waren zu  95 % Männer. Ich habe mir gedacht: „Wie kann ich auf diese Seite kommen?“Da ich kein Geld hatte und mich nicht finanzieren lassen wollte, habe ich kein Startup gegründet. Deswegen habe ich mir neben der Arbeit das Programmieren beigebracht. Ich dachte mir: „Wenn ich das sehr schwierige Philosophie Studium geschafft habe, dann bekomme ich das mit dem Programmieren auch irgendwie hin!“

Mit 33 Jahren habe ich mich selbstständig gemacht. Mittlerweile sind wir durchschnittlich zehn Leute in meinem Unternehmen und entwickeln Apps. Ich habe mich mit der App-Entwicklung spezialisiert, schnell auf ein neues Framework, Flutter, über das ich mittlerweile sogar ein Buch geschrieben habe, für die „für Dummis“- Reihe.
Das macht mir total viel Spaß! Ich gebe viele Workshops, stehe auf Bühnen – der Traum vom Popstar ist irgendwie in Erfüllung gegangen, nur für ein anderes Publikum.
Was mir vor allen Dingen viel Spaß macht ist, dass man gut verdient und sich seine Zeit frei einteilen kann. Ich habe die Winter auf Bali verbracht, ein halbes Jahr in Vietnam gelebt, mal wieder drei Monate in Thailand oder Singapur verbracht.
Seitdem ich Mutter bin, macht mein Mann Elternzeit. Ich habe vorher immer viel gearbeitet, aber seit der Schwangerschaft und nun als Mutter arbeite ich nur noch vier Tage die Woche und einen Tag nehme ich das Kind.Gründerin sein und in einem Tech-Beruf zu arbeiten, gibt mir sehr viele Freiheiten, was gerade als Mutter mit Kind perfekt ist. Ich habe die Women Techmakers in Hannover gegründet, wir haben mittlerweile 300 Mitgliederinnen, die alle in Tech-Berufen arbeiten. Wir verstehen nicht, warum nicht mehr Frauen als Programmiererin arbeiten: Du kannst auch im Sommer sechs Wochen mit deinen Kindern irgendwo hinfahre und dir deine Arbeit einteilen. Und du kannst auch mit einer 20 Stunden Woche so viel verdienen, wie andere Leute mit einer 40 Stunden Woche.

Hast du dir das Programmieren neben deinem Job beigebracht?
Ich hatte den Luxus, dass ich im Unternehmen meines Vaters anfangen konnte, obwohl ich noch wenig Erfahrung hatte. Ich hatte mit 31 keine Lust mehr, ein weiteres unbezahltes Praktikum zu machen und wieder prekär zu leben.
Gerade in der Coding Welt ist es wichtig, dem potenziellen Arbeitgeber zu zeigen, was du schon gemacht hast. Man kann gut damit anfangen, indem man sich seine eigene Webseite programmiert, anstelle eines Lebenslaufs einzureichen. Du lernst, wie du einen Hosting-Service buchst, wie man mit html, CSS und javascript programmiert. Zusätzlich kannst du in Podcasts reinhören oder Newsletter über das Thema abonnieren, um in die Tech-Szene reinschnuppern.
Ich habe mich für App-Entwicklungen entschieden, weil ich etwas Visuelles machen wollte. Ich mag Design sehr gerne, es macht mir Spaß, darüber nachzudenken wie eine App gestaltet sein soll und die Vorstellung dann selbst umzusetzen.

Mit welchem Thema beschäftigst du dich denn momentan?
Jetzt gerade beschäftige ich mich wieder mit Webseitenentwicklung, weil wir unsere neue Webseite launchen. Die programmiert ein Mitarbeiter von mir, aber ich möchte das alles verstehen, deswegen mache ich zurzeit Vue.JS Kurse*, was für mich komplett neu ist.
Das ist das Schöne an Tech-Jobs, man lernt ständig – das ist nichts für jemanden, der gerne ausgelernt hat und dann in einem Job bleibt. In Tech-Jobs musst du immer auf dem Laufenden bleiben. Du wirst gezwungen, dich weiterzuentwickeln, nicht stehenzubleiben und dein Gedächtnis zu trainieren.

*Eines der vielen Frameworks, mit denen man Webseiten programmieren kann.

Welche der Zukunftskompetenzen empfindest du in deinem Alltag als am wichtigsten?
Critical Thinking – Als Programmierer:in machst du eigentlich dasselbe wie ein:e Philosoph:in. Du nimmst eine Alltagshandlung, die auf den ersten Blick einfach wirkt, auseinander bis ins kleinste Detail. Du fragst dich: Was braucht es wirklich, was ist nur Beiwerk und was kann weg? Und bildest sie dann ab. Nur dann halt in einer Programmiersprache und nicht in “normaler” Sprache. Du nimmst zum Beispiel die Handlung “Schuhe kaufen” und schaust dir genau an, was dazugehört und was alles möglich ist in dem Zusammenhang. Du versuchst die Nutzer:innen kennenzulernen und ihre Fehler schlau abzufangen.

Gibt es Dinge, die dir immer wieder passieren, denen sich vielleicht ein Mann in deiner Position nicht so häufig ausgesetzt fühlt?
Was mir passiert, wenn ich auf Netzwerkveranstaltungen erzähle, dass ich Softwareentwicklerin bin, ist, dass Leute häufig kurz überrascht sind. Daran sieht man, welche Vorurteile die Leute mit sich herumtragen. Das war aber nie negativ, sondern immer positiv. Wenn mein Gegenüber dann zufällig auch Entwickler ist, ist die Freude immer groß. Männer freuen sich sehr über Frauen in der Branche.
Verkäufer sind häufig überrascht, weil sie nicht viele Frauen kennen, erinnern sich dann aber auch eher an mich. Auch Netzwerk-technisch ist es super, dass ich eine Frau bin.

Welche Erfahrungen sammelst du als Frau in deinem Beruf und welche Tipps hast du für Mädchen und junge Frauen?
Frauen sind häufig nicht so gut darin, eine „Fake it till you make it“-Haltung einzunehmen, das können Männer oft besser – sie erschaffen eine Kleinigkeit und verkaufen diese ganz groß.
Mein Tipp lautet daher: Überschätz dich ein bisschen, wenn es um Technik geht, unterschätz dich nicht. Versuch, Dinge alleine zu machen und Probleme zu lösen, indem du sie z. B. erst einmal googelst bevor du deine Freund:innen oder Kolleg:innen fragst, formulier es auf Englisch oder schau, was in Online-Foren steht.
Ich würde gerne Mädchen und Frauen mitgeben, dass sie Dinge nicht so schnell wegschieben, sondern erst einmal versuchen Probleme selber zu lösen, bevor sie andere um Hilfe bitten.

Gibt es etwas, was du noch losewerden möchtest?
Ich habe meinen allerersten Computer mit 24 bekommen, da hatte ich keine Ahnung vom Programmieren –ich wusste noch nicht einmal, wie man Word öffnet. In meinem Bachelor Studiengang durfte ich meine Hausarbeiten nicht mehr handschriftlich einreichen. Da habe ich mir dann widerwillig einen Laptop angeschafft. Ich hatte da gar keine Lust drauf. Das mit dem Programmieren, das habe ich alles später gelernt und auch erst, als ich dann Lust darauf hatte. Es hat ganz viel mit Spaß zu tun und damit, was man sich zutraut.

Mira Jago ist Vorbild-Unternehmerin der Initiative FRAUEN unternehmen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz.

Texte: DKJS
Foto: © Mira Jago
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