Fertig zum Countdown …
Neun Schülerinnen der TOB Wiehl lassen ihren Wetterballon steigen
15, 14, 13 … Der Countdown auf dem Brunnenhof der Sekundarschule Technisch Orientierte Bildung (TOB) im oberbergischen Wiehl läuft. Louisa, Esther, Jennifer, Laura, Paula, Chantal, Lillian und zweimal Leonie fiebern dem Start ihres heliumgefüllten Stratosphärenballons entgegen, an dem sie jeden Freitag nach der Schule gemeinsam in der Wetterballon AG gearbeitet haben. Gefördert wurde die AG von Wir stärken Mädchen.
Zwölf, elf, zehn …
Noch ruht der weiße Latexballon in Lauras Händen, bedeckt von weißen Baumwollhandschuhen, um ihn vor Berührungen zu schützen. „Das Material“, sagt sie, „ist empfindlich gegen fettige Finger, es kann in der Höhe vorzeitig platzen.“ Der Ballon selbst sieht noch ein wenig schlapp aus, das ist Absicht. „Wenn wir ihn gefüllt haben“, sagt sie, „wird er so zwei bis drei Meter Durchmesser haben, dann schicken wir ihn hoch, wenn er dann platzt, dann wird er einen Umfang von etwa 20 Metern haben.“
Neun, acht, sieben, sechs …
Am Wetterballon haben die Schülerinnen mit einer besonders reißfesten Schnur das Herzstück des Projekts befestigt: die geflügelte Sonde aus weißem Styropor, die nach dem Platzen des Ballons nach unten fallen wird, gebremst von einem kleinen roten Fallschirm. Außen haben sie den Sensor für Luftfeuchtigkeit und Temperatur, aber auch die Logos der Sponsoren angebracht. Den Datenlogger haben sie hineingelegt, verkabelt und gepolstert. Er zeichnet die Wetterdaten auf, die die Mädchen später auswerten wollen.
Fünf, vier, drei …
Lillian hat mit dem Cutter noch schnell für die in die Landschaft gerichtete Kamera ein größeres Loch in die Sonde schneiden müssen. Eine weitere Kamera schießt Bilder und Videos von den drei Experimenten zu UV-Strahlung, Luftdruck und Temperatur, die sich ereignen sollen, wenn der Ballon auf 35.000 Meter Höhe in die Stratosphäre, die Zone am Rande des Weltalls, gestiegen ist. Der Schokokuss beispielsweise soll Auskünfte zum Luftdruck geben: „Wir wollen gucken, ob der auseinanderspringt“, sagt Lillian.
Zwei, eins, null …
Und los! Schnell entschwindet der Ballon in den oberbergischen Nebel, der sich glücklicherweise etwas gelichtet hat. Jubel bei den Schülerinnen, den beiden Lehrerinnen Melanie Seitz und Wiebke Grobe sowie der Mentorin Dorina Weichert vom Fraunhofer Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS in St. Augustin.
Verfolgungsjagd
Doch zum Freuen bleibt nicht viel Zeit: Alle steigen in die Autos, um der per GPS berechneten Route zu folgen, die der Wetterballon nehmen soll. Geplanter Landeort: Bensheim, Luftlinie ca. 164 km in südöstlicher Richtung hinter Frankfurt, mit dem Auto gut 200 km. Hoffnungsfroh und auch ein bisschen bang fragen sich alle: Wird der Ballon am errechneten Ort platzen, und wo wird er nach dem Sinkflug landen? Werden sie ihre Sonde per GPS wiederfinden? Denn davon hängt es ab, ob sie an ihre Fotos, Videos und Daten kommen.
Ganz viel selbst machen
Wie auch immer dieses Abenteuer ausgehen wird, eine Erfolgsgeschichte ist es jetzt schon. Das von den Lehrerinnen Melanie Seitz und Wiebke Grobe geleitete Projekt begann vor gut einem Jahr noch im Homeschooling mit Experimenten zu Hause. Später tüftelten die Mädchen im Technikraum der Schule gemeinsam am Aufbau der Sonde, den Experimenten, die mit auf Ballonreise gehen sollten, und am GPS-Gerät.
In diesem Technikraum sind sie jetzt, kurz vor dem Start, versammelt. Für Paula ist das Schönste an der AG, „dass wir eine Gemeinschaft geworden sind, dass es ein Projekt rein aus Mädchen ist und dass wir als Schülerinnen sehr viel selber machen konnten“. Sie selbst weiß schon, dass sie Veranstaltungstechnikerin werden will. Im Laufe des Projekts hat sie sich darauf spezialisiert, den eigens ins Leben gerufenen Instagram-Account des Wetterballons zu füttern. Aber natürlich hat sie auch am Lötkurs teilgenommen.
Löten macht Spaß
Dieser Kurs war Lehrerin Melanie Seitz ein Herzensanliegen, und sie ließ den Datenlogger, den es auch fix und fertig gibt, von den Schülerinnen selbst zusammenbauen: „Den Mädchen bringt es viel mehr, wenn sie selber sehen, wie elektrische Geräte zusammengebaut werden. Denn heute ist es der Datenlogger, aber andere elektrische Geräte funktionieren ja ähnlich.“ Sie zeigt hinüber zu Laura, die mit dem Lötkolben hantiert: „Laura arbeitet jetzt ganz selbstverständlich an Platinen, lötet Kabel zusammen und sorgt für die Stromversorgung. Das war am Anfang nicht so.“ Und auch wenn sie hier schon an einer technikorientierten Schule sind, so hält sie es doch für sinnvoll, Mädchen in den MINT-Fächern besonders zu fördern. Schülerin Leonie sagt es mit ihren Worten: „Ich glaube, Jungs würden mehr die Aufgaben übernehmen wie Löten oder so was. Ich finde das ne tolle Sache zu zeigen, dass Mädchen das auch machen können, was eigentlich gesellschaftlich nur für Jungs vorgegeben wäre.“
Role Model
Bestes Beispiel: Mentorin Dorina Weichert. Sie hat Maschinenbau studiert, begeistert sich für Technik und schreibt am Fraunhofer Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS in St. Augustin gerade ihre Doktorarbeit in Informatik. Sie war immer wieder da, um den Mädchen unter die Arme zu greifen: „Die Idee von diesem Wetterballon ist ja, dass der auch im realen Leben steigt, um damit besser das Wetter vorhersagen zu können.“ Es sei großartig, wenn die Mädchen sehen könnten: „Hey, die Physik, die nützt uns auch.“
Fortsetzung folgt
TOB-Schulleiterin Anita Kallikat schaut vorbei, um den Ballon-Bauerinnen Glück zu wünschen. Für sie passt das Projekt „wunderbar zu unserem Profil“ – zumal es die nächsten zweieinhalb Jahre eine Fortsetzung geben wird: „Wir haben der Stadt Wiehl das Projekt vorgestellt, und die fanden das so toll, dass die Finanzierung der Materialien für weitere sechs Male gesichert ist.“ Die Mädchen werden ihr Wissen weitergeben und als Tutorinnen für die Jüngeren auftreten können.
Aus Fehlern lernen
Der Wetterballon kam an einem anderen Ort herunter als geplant. Nach erfolgloser Suche in den Weinbergen von Bensheim, erhielten die Wiehler Mädchen den Anruf einer Türenfirma in Wöllstein, auf deren Gelände die Sonde völlig intakt gelandet war. Noch mal 90 km Fahrt und Erleichterung: Die Experimente waren noch da, der Schokokuss hatte sich aufgebläht und Risse bekommen, die Wasserperlen waren gefroren und geplatzt und das Strohhalm-Experiment wartete noch auf seine Auswertung per Video.
Die Enttäuschung eine Woche später ist groß: Eine Kamera hat nichts gefilmt, die andere nur den Anfang des Starts und das Ende der Landung. Auf der positiven Seite: Die nächste Gruppe startet schon im nächsten Schulhalbjahr und dank Fehleranalyse können die Mädchen den Neuen wertvolle Tipps geben.